Buchbesprechung zu Gunther Schendel:
Die Missionsanstalt Hermannsburg und der Nationalsozialismus


von Reino Ottermann, Stellenbosch / Somerset West



Gunther Schendel: Die 
Missionsanstalt Hermannsburg und der Nationalsozialismus

Gunther Schendel: Die Missionsanstalt Hermannsburg und der Nationalsozialismus. Der Weg einer lutherischen Milieuinstitution zwischen Weimarer Republik und Nachkriegszeit. Band XVI der Quellen und Beiträge zur Geschichte der Hermannsburger Mission und des Ev.-Luth. Missionswerkes Niedersachsen. 751 + LII Seiten. LIT Verlag Dr. W. Hopf, Berlin, 2008. (Leicht überarbeitete Veröffentlichung der von der Georg-August-Universität Göttingen 2007 angenommenen Dissertation.)


Deutsche evangelische Missionsgesellschaften sind mehr als zwei Jahrhunderte lang in Südafrika tätig gewesen. Im 20. Jahrhundert hat die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland sie und ihre Arbeit auf vielfältige Weise in Mitleidenschaft gezogen. In seiner Göttinger Dissertation befasst sich Dr. Gunther Schendel intensiv mit der Missionsanstalt Hermannsburg und dem Nationalsozialismus.  Das Buch ist für jeden Nachkommen von Hermannsburger Missionaren oder Freund der Hermannsburger Mission in Südafrika, sowie auch für die Geschichte der aus der Hermannsburger Missionsarbeit entstandenen deutschen lutherischen Gemeinden in Südafrika, überaus aufschlussreich. Es beantwortet manche Fragen und klärt Zusammenhänge, die z.T. in der Überlieferung eigene Wege gegangen sind.

Das Wirken der Hermannsburger Mission in Südafrika muss im Zusammenhang mit der Arbeit der anderen deutschen Missionsgesellschaften in Südafrika gesehen werden, die alle jeweils auf eigene Weise die Zeit des Nationalsozialismus durchlebt und durchlitten haben. Daher hier kurz eine Übersicht. Mit dem Herrnhuter Missionar Georg Schmidt (1709-1785) begann 1737 die deutsche evangelische Missionsarbeit in Südafrika in Baviaanskloof (später Genadendal genannt) im Distrikt Caledon. Er musste allerdings 1744 infolge des Widerstandes seitens der reformierten Geistlichkeit am Kap nach Europa zurückkehren. Erst 1792 konnten wieder Herrnhuter Missionare in die Kapkolonie kommen um seine Arbeit fortzusetzen. Die Herrnhuter haben dann vor allem im Westen und Osten der damaligen Kapkolonie, später Kapprovinz, gewirkt.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts kamen einige deutsche Missionare im Dienst der London Missionary Society nach Südafrika, so z.B. Johann Heinrich Schmelen, der nach seiner Ausbildung in Pastor Johann Jänickes Missionsschule in Berlin (gegründet 1800) im Jahre 1811 in die Namaqua-Mission im Nordwesten der Kapkolonie ausgesandt wurde.

1824 wurde die Berliner Missionsgesellschaft gegründet, die 1829 ein eigenes Seminar eröffnete, um nunmehr selber Missionare zu entsenden. Die ersten Missionare dieser Berliner Mission trafen 1834 in Kapstadt ein. Im Laufe der Jahre weitete sich ihre Arbeit auf fast das gesamte Südafrika aus.

Die Rheinische Missionsgesellschaft ging aus der Vereinigung von einer Reihe von örtlichen Missionsgesellschaften in den preußischen Rheinprovinzen hervor. Bereits 1818 war die Barmer Missionsgesellschaft entstanden, die ihre Schüler im Missionsseminar in Basel ausbilden ließ. 1825 entstand dann eine eigene Barmer Missionsvorschule. Schließlich entstand 1828/1829 die Rheinische Missionsgesellschaft. Aus der Barmer Missionsvorschule kamen vier Missionare, die 1829 an das Westkap entsandt wurden, wo sie zunächst auftragsgemäß in den Dienst örtlicher Missionsvereine traten. Ihre Stationen wurden jedoch bald von der Rheinischen Mission übernommen, die dann noch viele Missionare an das Kap und nach Südwestafrika entsandt hat.

Schließlich kamen 1854 die ersten Missionare der 1849 von Louis Harms gegründeten Hermannsburger Mission in Natal an, wo sie unter den Zulus arbeiteten, und von wo aus sie 1857 auch zu den Batswana in Transvaal und Betschuanaland zogen. Die 1892 von der Hermannsburger Mission abgespaltene Bleckmarer Mission hat ebenfalls Arbeitsgebiete in Natal und Transvaal entwickelt.

Der Klappentext des Buches fasst den bedeutungsvollen Inhalt wie folgt zusammen: “In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Missionsanstalt Hermannsburg eine der größten deutschen Missionsgesellschaften. Dieses Buch untersucht die Missionsanstalt in der NS-Zeit. Ein Schwerpunkt liegt auf den politischen und kirchenpolitischen Positionen sowie auf der Haltung zu Neuheidentum und Judenfeindschaft. Dabei wird die Mission in das lutherisch-konservative Milieu Norddeutschlands eingezeichnet, ihre Positionen werden in den Kontext der damaligen deutschen Missionswissenschaft gestellt. Damit liefert dieser Band einen Beitrag zur Missionsgeschichte, aber auch zur niedersächsischen Kirchen- und Regionalgeschichte. “

“Das schwarze Herz Hannovers ist die Hermannsburger Mission”, so begann eine Polemik, die 1938 in einer deutsch-christlichen Zeitschrift erschien. Schendel schreibt im Vorwort, dass ihm als Pastor in der Kirchengemeinde Wietzendorf in der Nähe Hermannsburgs sowohl das Thema Nationalsozialismus als auch das Thema Mission in ganz neuer Weise ins Blickfeld rückten. Was hatte es mit diesem “schwarzen Herzen Hannovers”, in der Nachbarschaft eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers und in der Nähe des Konzentrationslagers Bergen-Belsen, auf sich? Schendel behandelt das Thema weitgefächert auf Grund von einer Unmenge von Archivalien, Literatur und persönlichen Interviews. Trotzdem ist der Text nicht nur gut leserlich sondern auch spannend, geradezu fesselnd, aufgebaut.

Der Verfasser hat nicht nur die politischen und kirchlichen Entwicklungen in Deutschland ins Auge gefasst, sondern sich auch akribisch in die ihm zur Verfügung stehenden das Missionsfeld betreffenden Archivalien hineingearbeitet. Auf diese Weise enthält das Buch eine Vielfalt von Informationen, die in Südafrika bisher nicht bekannt waren. In Deutschland befand sich die Missionsanstalt - konservativ lutherisch und auch politisch überwiegend konservativ (der zur Welfenpartei gehörende Bürgermeister von Hermannsburg blieb bis zum Kriegsende im Amt) – von Seiten der NS-Partei sowie auch von der “Deutsche Christen”-Bewegung unter Druck. (Die Deutschen Christen waren eine rassistische, antisemitische und am Führerprinzip orientierte Strömung im deutschen Protestantismus, die diesen von 1932 bis 1945 an die Ideologie des Nationalsozialismus angleichen wollte. - So zusammengefasst in Wikipedia.) Der Hannoverschen Landeskirche gelang es (wie auch den Landeskirchen von Bayern und Württemberg) der Eingliederung in diese Deutsche Evangelische Kirche unter Leitung eines Reichsbischofs zu widerstehen.  In anderen Landeskirchen, denen dies nicht gelang, entstand als Gegenbewegung die Bekennende Kirche. Darüber aber hier nicht mehr.

Der Verfasser teilt seinen Stoff in fünf Teile (A-E) ein, aus denen hier nur einige kurz schwerpunktmäßig angerissen werden können um dann ein paar Bezüge zu Südafrika zu erwähnen. In Teil A (Zwischen Apokalyptik und “Nationaler Erhebung”. Politische Positionen 1919-1933) werden politische Positionen in der Zeit der Weimarer Republik (1918-1933) behandelt. Interessant sind darin einerseits vor allem Einzelheiten zu Missionar Wilhelm Schmädeke, der ein “ungebrochenes und von Bedenken freies Verhältnis zur NS-Bewegung hatte”. Er wurde nach einem Besuch in Deutschland 1932 Mitglied des NSDAP-Ablegers in Durban. Schmädeke “sah offensichtlich eine Harmonie von Christentum und Nationalsozialismus”, während Missionsdirektor Schomerus und Kondirektor Wickert “eine Verselbständigung bzw. Überordnung des Nationalismus [über das Christentum] fürchteten”. Soweit bekannt war nur noch ein weiterer Hermannsburger Missionar in Südafrika Mitglied der NSDAP.

Dahingegen hat eine Konferenz von Missionaren und Pastoren 1933 in Hermannsburg (Natal) mit Wickert, der auf einer Visitatiosreise in Südafrika war, laut seinem Bericht als Reaktion auf die sich zuspitzende kirchenpolitische Auseinandersetztung in Deutschland die kirchliche Entwicklung in Deutschand mit “tiefer Sorge” betrachtet. Und Wickert hat 1934 nach der Rückkehr in Deutschland “die Lage hier in der Heimat” als “sehr ernst, viel ernster, als wir uns gedacht haben in Afrika” beschrieben.

Schendel behandelt die Entwicklungen in Deutschland einerseits und die Reaktion auf dem Missionsfeld und in den mit der Hermannsburger Mission verbundenen deutschen Gemeinden in Südafrika andererseits differenziert mit Empathie und Einfühlungsvermögen und trotzdem mit historisch-wissenschaftlicher Gründlichkeit und Objektivität. In Deutschland war ständig die Frage, wie sich die Missionsanstalt durch das Minenfeld der z.T. schnell fortschreitenden kirchlichen und vor allem potitischen Entwicklungen hindurchlavieren konnte. Das brachte anfangs vorsichtig positive, z.T. sogar begeisterte Reaktionen mit sich, die später jedoch mehr und mehr kritisch, selbst prinzipiell abweisend wurden.

In Südafrika haben die deutschen Gemeinden die “nationale Erhebung” des deutschen Volkes nach dem Ersten Weltkrieg und Versailles anfangs positiv begrüßt und gefeiert. Für diese Gemeinden waren ja von Anfang an die Interessen von Deutschtum und Luthertum deckungsgleich. So war es nicht einfach aus der Ferne einen klaren Blick für die Entwicklungen in der “alten Heimat” zu behalten. Verschiedene Äußerungen auf Gemeindefesten oder Kulturveranstaltungen belegen dies anschaulich. Das Gleiche galt auch für die Missionare in Südafrika. Schendel schreibt, dass “in allen ... Äußerungen von Südafrikamissionaren aus dieser Zeit die inhaltliche Richtung der wahrgenommenen oder erwünschten Entwicklung in Deutschland nur sehr blass blieb”. In den weiteren Abteilungen kommen die Missionare und die deutschen Gemeinden in Südafrika jeweils nur sozusagen als Seitenthema am Rande vor. Es gelingt dem Verfasser jedoch die Reaktionen auf die sich ständig ändernde Situation anschaulich zu schildern. Manches konnte in Südafrika, wo kein Zensurdruck herrschte, gesagt und geschrieben werden, was bei der zunehmend strengen Zensur in Deutschland nicht mehr möglich war.

Das Hauptthema des Verfassers waren ja auch die Entwicklungen in Deutschland. Teil B hat als Überschrift: Zwischen anfänglichen Illusionen und der Verteidigung von Bekenntnis und Institution. Kirchenpolitische Positionen 1933-1939. Über Teil C steht: Zwischen Ungleichheitsdenken und christlicher Verbundenheit. Die Haltung zu Rassismus, Neopaganismus und Judenfeindschaft 1933-1945.

Aus Teil D: Zwischen Obrigkeitsgehorsam und Resistenz. Das Verhältnis zum etablierten NS-Staat (Spätsommer 1933-1945), soll noch einiges erwähnt werden. Interessant ist z. B. die Reaktion einiger Missionare auf die “Sudetenkrise” im europäischen Herbst 1938. Der drohende “Kriegsfall” war Anlass zu verschiedenen Überlegungen um zu verhindern, dass Mission und deutsche Schulen im Kriegsfall zwischen die Fronten geraten würden.  So forderte Missionar Friedrich Küsel, der einen neuen Krieg für unausweichlich hielt, mehrfach die generelle “Besitzübernahme der Mission” nach Südafrika und die Übernahme der südafrikanischen Staatsbürgeschaft durch die dortigen Missionsmitarbeiter. Und der Leiter der deutschen Schule in Hermannsburg, Natal, Pastor Johannes Kistner, beantragte die Übernahme der Schule durch die nicht [strukturell] mit Deutschland verbundene Hermannsburger Synode um für den Kriegsfall die Schließung der Schule zu verhindern. Aufschlussreich ist auch die Abteilung über “Volkstumsarbeit” und “Volksgemeinschaft” in Südafrika. Und die Ambivalenz gegenüber den Folgen des staatlichen “Totalitätsanspruchs” kommt in der internen Korrespondenz in Südafrika wesentlich deutlicher zum Ausdruck als in Deutschland, z. B. in Bezug auf die staatliche Kirchenpolitik und die Förderung des Neopaganismus. Bezugnehmend auf Hitlers Unterstützung der “Religion Rosenberg” [Der Mythus des 20. Jahrhunderts] schreibt Pastor Drews 1936 an Superintendent Wiese: “Dann wäre der N.S. [= Nationalsozialismus] bei all dem Guten, das er für unser Volk geschaffen hat, der größte Fluch Deutschlands”.

Und schließlich folgt Teil E: Zwischen Schuldfrage und Neuanfang. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in der unmittelabren Nachkriegszeit 1945-1949.

Im abschließenden Resümee und Ausblick kommen Mission und Milieu, Frömmigkeit, theologische Traditionen und der Nationalsozialismus, Verhaltensstrategien und Handlungsspielräume und Mission im Spannungsfeld zwischen Milieu, Frömmigkeit und Politik unter die Lupe. Ein Anhang enthält eine hilfreiche Zeittafel zur Geschichte der Hermannsburger Missionsanstalt (1918-1949). Eine Bemerkung: In dem interessanten Bildanhang sind auf Bild 1 die Namen von Missionsdirektor Schomerus und Kondirektor Wickert falsch herum angegeben. Und schließlich ist das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis eine Fundgrube für jeden, der sich mit dieser Materie befassen will. Ebenso sind ein Namensregister und ein geographisches Register praktische Hilfsmittel für den Leser.

Gunther Schendels Buch ist ein unabdingbares Werkzeug für jeden, der sich mit der Geschichte der Hermannsburger Mission und deren Arbeitsfeld in Südafrika befassen will.


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