Deutsche am Kap in der Frühzeit


von Reino Ottermann, Somerset West am 8. Januar 2013


Treffpunkt Empore - eine Veranstaltung der Evangelisch-Lutherischen Gemeinde Stellenbosch und Somerset West.



Zu Anfang eine kleine Korrektur zu der freundlichen Email-Einladung von Pastor Krause: lch bin nicht in einem Pfarrhaus in Deutschland aufgewachsen! Vielmehr bin ich vierte bzw. dritte Generation Südafrikaner, aus einer Farmer- und Müllerfamilie. Drei meiner Urgroßväter waren Hermannsburger Missionare, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Botswana und der heutigen Nordwest-Provinz tätig waren und mein Großvater väterlicherseits kam 1880 aus Hermannsburg nach Südafrika. Alle stammten aus der Lüneburger Heide und von ihnen habe ich das spitze S geerbt. Mein Schwiegervater stammte allerdings aus Schwaben und von ihm und meiner Frau haben unsere Kinder das “Schprechen” übernommen. Und des isch mir au recht!

Ich pflege solchen Vorträgen eine Liste von benutzten Quellen voranzustellen um damit zu zeigen, dass nicht alles auf eigenem Mist gewachsen ist. Diese Liste will ich Ihnen aber ersparen und gleich zur Sache übergehen. Außerdem schreibe ich alles wörtlich auf, damit ich nicht ins Faseln komme! Einen interessanten kleinen Vorspann will ich Ihnen jedoch nicht vorenthalten.


Für diesen Vortag beziehe ich mich vor allem auf die Veröffentlichungen des verstorbenen Dr. John Hoge von der Universität Stellenbosch, der intensiv und ausgiebig über die Deutschen am Kap in den ersten etwa anderhalb Jahrhunderten geforscht und publiziert hat. Hier benutzt: Personalia of the Germans at the Cape 1652-1806 (Archives Year Book for South African History, Cape Town 1946) und Die Geschichte der ältesten evangelisch-lutherischen Gemeinde in Kapstadt (München 1939). Ferner von Eduard Moritz: Die Deutschen am Kap unter der holländischen Herrschaft 1652-1806  (Ludwigsburg 1943), von Werner Schmidt-Pretoria: Der Kulturanteil des Deutschtums am Aufbau des Burenvolkes (Hannover 1938), von Johannes Printz: Das Württembergische Kapregiment 1786-1808 (Stuttgart 1932) von Hildemarie Grünewald: Die Geschichte der Deutschen in Südafrika (vierte erweiterte Auflage, Ulrich Naumann Verlag, Kapstadt 1998) und von Hans Heese: Groep sonder grense (Bellville 1984). Unentbehrlich ist das Dictionary of South African Biography. Außerdem beziehe ich mich auf die Festschrift, die ich 1995 zum 100-jährigen Jubiläum der Evangelisch-Lutherischen Kirche im Südlichen Afrika (Kapkirche) verfasst habe (The Centenary of the Synod ..., Cape Town 1995), sowie auch (z. T. wörtlich) auf meinen Beitrag in Hanns Lessing u.a. (Hrsg.): Deutsche evangelische Kirche im kolonialen südlichen Afrika. Die Rolle der Auslandsarbeit von den Anfängen bis in die 1920er Jahre (Wiesbaden 2011). Mein Beitrag darin befasst sich mit den deutschen Siedlergemeinschaften in Südafrika. Und schließlich habe ich auch manches im Internet gefunden.


Die Geschichte des Kaplandes beginnt, aus europäischer Sicht gesehen, mit der "Entdeckung" der Kapsüdspitze durch Bartolomeu Dias nach der Umsegelung des Kap bis zur Gegend des Großen Fischflusses an der Ostküste der heutigen Ostkap-Provinz. Dias musste im Marz 1488 dort umkehren, weil seine Leute auf der kleinen Flotte von drei Schiffen müde waren und nach Hause wollten. Auf der Rückreise wurde im Mai 1488 die sogenannte Kapsüdspitze entdeckt. Dias hat auf der Reise drei sogenannte Dias-Kreuze, padrãos, aufgepflanzt. Padrão ist Portugiesisch für eine Steinsäule, versehen mit dem königlich-portugiesischen Wappen und, in portugiesischer und lateinischer Sprache, dem Jahr der Aufpflanzung, dem Namen des Seefahrers und des portugiesischen Königs, um damit den portugiesischen Hoheitsanspruch zu dokumentieren.) Die Kreuze wurden später bei Lüderitzbucht in Namibia, an der Kapspitze und bei Kwaaihoek in der Nähe der Mündung des Buschmannflusses nahe Alexandria in der Ostkap-Provinz gefunden. Die drei Schiffe erlebten bei der Umsegelung der Kapspitze einen starken Sturm und daher gab Dias ihr den Namen Cabo de las Tormentas (Kap der Stürme) oder Cabo Tormentoso (Stürmisches Kap). Der portugiesische Konig João II. änderte den Namen in Cabo da Boa Esperança (Kap der Guten Hoffnung) in der Hoffnung auf die Entdeckung des Seeweges nach Indien. Die Hoffnung wurde erfüllt als Vasco da Gama 1497 das Kap umsegelte und Calicut an der Malabarküste im Südwesten lndiens erreichte. (Eine Kopie des Vasco da Gama-Kreuzes steht übrigens auch bei der Kapspitze.)

Andere seefahrende Handelsmächte in Europa machten sich nun diese Entdeckung zu Nutze und schickten auch Handelsschiffe um das Kap in den Osten. Für diese weite Seefahrt war immer das Finden von frischem Wasser, frischem Obst und Gemüse und frischem Fleisch unterwegs von größter Wichtigkeit. Also entschloss sich die Niederländische Vereenigde Oostindische Compagnie  (Vereinigte Ost-lndische Compagnie, kurz VOC genannt) in der Mitte des 17. Jahrhunderts dazu auf halbem Wege am Kap eine Station anzulegen für die Beschaffung dieser notwendigen Lebensmittel. Die Behörde der VOC waren die Here XVII (Herren Siebzehn) in Amsterdam.

Die Geschichte der Deutschen in Südafrika reicht zurück bis in diese erste europäische Besiedlung am Kap der Guten Hoffnung durch Beamte der VOC im Jahre 1652 unter Leitung von Jan van Riebeeck. Frisches Gemüse und Obst wurden angebaut und Fleisch wurde durch Tausch von den einheimischen Khoikhoi (früher Hottentotten genannt) erworben. Unter Van Riebeecks Mitarbeitern befanden sich bereits Deutsche, unter anderen Wilhelm Müller aus Frankfurt und Paulus Petkauw aus Danzig, die Mitglieder des Politieke Raad (der Regierung vor Ort) wurden. Van Riebeecks Nachfolger als zweiter Kommandeur der Niederlassung (1662 bis 1666) war der in Dresden-Neustadt geborene Zacharias Wagenaer (Wagner). Wagenaer hatte schon eine erfolgreiche Beamtenlaufbahn in der West- und Ostindischen Compagnie hinter sich.

Wenn wir uns heute mit der "Frühzeit" befassen, ist damit die holländische und frühe britische Zeit gemeint. Das Kapland war ja von 1652 bis 1795 holländisch, dann folgte eine kurze britische Zeit bis 1803, die Zeit der holländischen Batavischen Republik und schließlich die endgültige britische Übernahme 1806. Viele Deutsche kamen in der holländischen Zeit ans Kap. Die Verheerungen der deutschen Lande durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) veranlasste manchen jungen Deutschen sein Heil anderswo zu suchen. Deutsche wurden nach dem Ort ihrer Herkunft als solche identfiziert, weil das damalige Reich ja aus unzähligen Klein- und Kleinststaaten und Städten bestand und es ein Deutschland im heutige Sinn noch nicht gab.

Der Reisende Peter Kolb (von dem später noch die Rede sein wird) erzählt, dass auf Schiffen der Compagnie die Trompeter oft morgens und abends einen deutschen Choral geblasen haben, morgens "Aus meines Herzens Grunde" und abends "Nun ruhen alle Wälder".

Dr. John Hoge schreibt, dass, soweit sich aus archivalischen Quellen feststellen lässt, unter der niederländischen Herrschaft etwa 15.000 Deutsche nach Südafrika gekommen sind, von denen man annehmen darf, dass die meisten hier geblieben sind. Die Mehrzahl der Deutschen kam aus Kreisen der Handwerker und Bauern. Sie waren hier Soldaten, Handwerker, niedere Beamte oder auch Knechte. Eine kleinere Anzahl stammte aus Familien von Beamten, Juristen, Ärzten und Geistlichen, ein paar aus Adelskreisen, wie der später noch zu erwähnende Joachim Nikolaus von Dessin. Die für die Behörden in den Niederlanden erstellten jährlichen Listen von VOC-Beamten und Freibürgern am Kap, Monsterrollen genannt, die von 1657 bis 1789 erhalten sind, weisen 10.000 Deutsche auf, von deren Leben meist wenig oder nichts überliefert worden ist. Hoge hat allerdings in seinem Buch Personalia of the Germans at the Cape 1652-1806 alles auffindbare zusammengetragen. Von den meisten ist das jedoch alles, was zu erfahren ist, und ihre Spur hat sich im Sande verlaufen. Geblieben ist die große Zahl der heutigen Afrikaner (oder Buren), die einen deutschen Namen tragen.

Eine bekannte Ausnahme, dessen Name bis heute einen heldischen Klang behalten hat, ist Wolrath Woltemath aus Hessen-Schaumburg (hier Wolraad Woltemade genannt), der 1773 durch seine heldenhafte Rettung von 14 Schiffbrüchigen des in der Tafelbai gestrandeten Schiffes De jonge Thomas in Erinnerung geblieben ist. Er selber und sein Pferd ertranken bei weiteren Rettungsversuchen.

Hoge zitiert eine Reihe von Berichten über die Anzahl der Deutschen am Kap, unter andern von einem schwedischen Reisenden, der 1770 behauptet, dass die Hälfte der europäischen Bevölkerung am Kap Deutsche waren.

Aber nun zurück zu den ersten Jahren. Weil die Beamten nicht ausreichend Lebensmittel für die Schiffe erzeugen oder beschaffen konnten, wurde bald unter dem Gouverneur Simon van der Stel das sogenannte "Freibürgertum" eingeführt. Freibürger waren Personen, die für die eigene Tasche arbeiten konnten, um auf diese Weise mehr Lebensmittel für die Schiffe zu beschaffen. Zu den frühesten sogenannten Freibürgern gehörte der 1673 aus Hamburg angekommene Henning Hüsing (hier auch Huising genannt). Er wurde bald ein wohlhabender Farmer. 1678 bekamen er und sein Freund Claes Gerrits die Erlaubnis ihre Schafe zwischen dem Eersterivier und den Hottentots-Holland-Bergen weiden zu lassen, unter der Bedingung, dass sie bei den einheimischen Khoi kein Ärgernis erregen würden. Hüsing bekam 1690 von Van der Stel das Eigentumsrecht der auf beiden Seiten des Eersterivier gelegenen Farm Welmoed, die er bereits seit 1680 bearbeitet hatte, und später die heute noch bekannte Farm Meerlust (beide heute an der R310 zwischen Stellenbosch und Faure unterwegs zur N2 gelegen). Hüsing war auch Heemraad in Stellenbosch, d.h. Mitglied des Gremiums, das mit dem örtlichen Landdrost für die niedere Gerichtsbarkeit zuständig war. Als Hüsing 1713 starb, hinterließ er ein beachtliches Vermögen. In seinem Testament wurden u.a. die lutherische Kirche in Amsterdam, die Armen in dieser Gemeinde und das lutherische Waisenhaus in Hamburg bedacht. Zu Hüsings Zeit war übrigens Johann Friedrich Starrenburg aus Lübeck ab 1707 Landdrost in Stellenbosch.

Aus verschiedenen Gründen konnte sich die deutsche Sprache in dieser ersten Phase der deutschen Siedlergemeinschaft nur schwer behaupten. Erstens kam ein Großteil der Deutschen aus Norddeutschland, mit Plattdeutsch als Muttersprache. Außerdem konnten die Männer am Kap in der Regel nur niederländische Frauen heiraten, deren Zahl aber gering war, oder eine zu diesem Zweck freigekaufte Sklavin, meist aus Südostasien. Heute können viele afrikaanse Familien ihre Abstammung von einer solchen freigekauften Sklavin nachweisen. Dr. Hans Heese hat in seinem Buch Groep sonder grense (Gruppe ohne Grenzen) aufschlussreich über dieses Phänomen berichtet.

Die Geschichte der Deutschen kann nicht erzählt werden ohne die kirchliche Situation am Kap zu erwähnen. Die weitaus meisten Deutschen waren Lutheraner, deren Konfession nach der Regel der Utrechter Union von 1579, die den Grundsatz des Augsburger Religionsfriedens von 1555 Cuius regio, eius religio übernommen hatte, auf dem reformierten Boden der VOC  nicht erlaubt war. (Cuius regio, eius religio, d.h. wessen Gebiet, dessen Religion, oder, nach dem damaligen Sprachgebrauch "wes der Fürst, des der Glaub”, wurde auch nach dem Dreißigjähren Krieg im Westfälischen Frieden von 1648 noch als Rechtsprinzip behalten, das die Religionszugehörigkeit in den deutschen Landen bestimmte.) Die Lutheraner wurden auch die Anhänger der Augsburgischen Konfession genannt, die 1530 vor dem Reichstag in Augsburg verlesen worden war.

Manche deutsche Lutheraner schlossen sich der reformierten Kirche an. 1740 bekannten sich aber noch 509 Einwohner als Lutheraner, die sich also nicht der reformierten Kirche angeschlossen hatten. Mancher verbaute sich als bekennender Lutheraner damit den Weg zum Aufstieg in die führenden Ränge der VOC. So hatte sich z. B. der aus Hamburg gebürtige Tobias Rönnenkamp, der 1754 als Soldat ans Kap gekommen war, als Beamter einigermaßen hochgearbeitet, wurde jedoch wegen seines lutherischen Bekenntnisses von höherem Aufstieg ausgeschlossen.

Ein Gegenbeispiel ist der 1710 in Bremen geborene Otto Lüder Hemmy, der zuerst Buchhalter war, später fiskaal, und schließlich 1773 als secunde (der manchmal den Gouverneur zu vertreten hatte) angestellt wurde, nachdem er seinem lutherischen Glauben abgesagt hatte. Er hatte sich bis dann zu den Lutheranern gehalten. Hemmy wohnte in Simonsbaai (heute Simonstad / Simonstown), wo Schiffe bei ungünstigem Wetter statt in der Tafelbai vor Anker gingen und voll versorgt werden mussten. Er besaß die Farm Alphen bei Constantia. Seine Abkehr vom lutherischen Glauben kann man ihm wohl nicht verdenken, denn eine lutherische Gemeinde gab es ja noch nicht. Außerdem konnten einige wenige Deutsche ja auch von Hause her durchaus bereits reformierten Bekenntnisses gewesen sein.

(Farm Alphen lag bei Constantia, heute Groot Constantia, der Farm, die Kommissaris Hendrik Adriaan van Rheede tot Drakenstein 1685 während eines jährlichen Besuches am Kap dem Gouvemeur Simon van der Stel zuerkannt hatte. Constantiaweine wurden spater auch in Europa bekannt und nachweislich von u.a. Friedrich Schiller geschätzt.)

Ein weiteres Beispiel: Rudolph Siegfried Alleman, 1693 in Bergholzhausen in Westfalen geboren, spielte auf Militärgebiet eine wichtige Rolle, war Befehlshaber der Garnison und später Mitglied des Politieke Raad und Präsident des Raad van Justisie. Er besaß die Farm Zonnebloem an den Hängen von Duiwelspiek, heute unterhalb von De Waal Drive, wo sich später District Six entwickelte und was heute noch z. T. brach liegt. In der Garnison befanden sich viele Deutsche, z.T. als Kommandanten. So waren da 1720 vier Compagnien von insgesamt 185 Mann, von denen 145 Deutsche waren. Chef Kapitän Kay Jesse Slotsboo stammte aus Hadersleben und Adjudant Jan Christoffel Greeve aus Nordheim.

Es ist bemerkenswert, dass trotz ihrer relativ großen Anzahl, nach Zacharias Wagenaer, der nach Van Riebeeck Kommandeur der Niederlassung war, kein Deutschgeborener Gouverneur am Kap geworden ist.

Aus dem 18. Jahrhundert sei noch ein Deutscher genannt, der eine bedeutende Rolle am Kap gespielt hat, nämlich der schon erwähnte Joachim Nikolaus von Dessin aus Rostock, der 1727 in Kapstadt ankam und die letzten Jahre seines Lebens Sekretär der Waisenkammer war. Dessin war am Joachimsthalschen Gymnasium in Berlin erzogen worden, war Kammerherr des Markgrafen Albert Friedrich von Brandenburg gewesen und nach dem Tod seines Vaters nach Rostock zurückgekehrt. Warum er schließlich den Dienst als Soldat in der VOC in Amsterdam angetreten hat, konnte nicht geklärt werden. Hier am Kap hat er eine bedeutende kulturprägende Rolle gespielt. Seine Bibliothek von 4.500 Bänden vermachte er der reformierten Gemeinde, denn eine lutherische gab es (wie gesagt) ja noch nicht. Diese Bibliothek bildete später den Grundstock der South African Public Library, heute der Kapstädter Zweig der Nationalbibliothek. Auch in Dessins Nachlass befanden sich mathematische und astrologische lnstrumente, sowie Musikinstrumente für sein Sklavenorchester und Gemälde, die beide in seinem Leben offensichtlich eine nicht mindere Rolle als seine Bücher gespielt haben.

Einige der Lutheraner wurden gelegentlich von reformierter Seite ausdrücklich zum Abendmahl zugelassen, was z.T. auch in Protokollen erwähnt wurde. Dennoch kamen die Lutheraner gern, wenn durchreisende skandinavische Schiffsgeistliche einen lutherischen Tauf- und Abendmahlsgottesdienst hielten. Diese Gottesdienste waren allerdings nur von Nutzen, wenn der betreffende Geistliche die deutsche Sprache beherrschte.

Im 18. Jahrhundert änderte sich das religiöse Klima am Kap zu Gunsten der Lutheraner. Baron Gustav Wilhelm von Imhoff, der aus Leer in Ostfriesland stammte und später General-Gouverneur von Batavia (Niederlandisch-Indien) wurde, schickte 1714 ein Memorandum an die Herren XVII in Amsterdam, in dem er empfahl, dass den Lutheranern in Batavia und am Kap die Erlaubnis gegeben werde eigene Kirchengemeinden zu gründen. Den Lutheranern in Batavia wurde diese Erlaubnis 1743 erteilt und die ersten Pastoren für Batavia hielten auf der Durchreise in Kapstadt Gottesdienste für die dortigen Lutheraner.

Für die Lutheraner am Kap gab es jedoch vorerst keinen Erfolg, z.T. wegen des heftigen Widerstandes der reformierten Geistlichkeit. Proteste der reformierten Geistlichen hatten auch zur Folge, dass der erste Herrnhuter Missionar, Georg Schmidt, der 1737 bis 1744 unter den Khoi in Genadendal (in der Nähe des heutigen Caledon) gewirkt hatte, seine Arbeit aufgeben und nach Europa zurückkehren musste. (1977 konnte ich während eines Besuches in Herrnhut in der Oberlausitz auch nach Niesky fahren und das Grab von Georg Schmidt auf dem dortigen Friedhof besuchen. Auf einem schlichten flachliegenden Stein, nach Herrnhuter Art, steht: Georg Schmidt 1709-1785, erster Missionär unter den Hottentotten in Südafrika.) Erst 1792 konnten die Missionare Kühnel, Schwinn und Marsveld nach Genadendal zurückkehren um die Arbeit dort wieder aufzunehmen.

1741 beauftragten die Here XVII den Politieke Raad (die (Regierung vor Ort am Kap) die Anzahl der Lutheraner dort festzustellen. Die Statistik ergab, dass 509 Personen sich zum lutherischen Glauben bekannten. Am 19. Juni 1742 unterzeichneten 64 Lutheraner, von denen 57 aus deutschen Landen kamen, ein Gesuch (Request genannt) an den Gouverneur und Politieke Raad mit der Bitte eine eigene Gemeinde mit eigenem Pastor gründen zu dürfen. Es folgten gleiche Gesuche 1743, 1751, 1753 und 1778. Schließlich wurde diese Bitte am 18. Oktober 1779 von den Here XVII gewährt. Die neue Gemeinde bestand aus 442 Personen, von denen 375 aus Deutschland kamen und nur 27 Frauen waren. (Letztere Zahl zeigt noch einmal, wie wenig deutsche Frauen es am Kap gab.)

Die Lutheraner wollten gern den in Kapstadt geborenen Christian Friedrich Blettermann, der an den Franckeschen Stiftungen in Halle erzogen worden war und in Leipzig Theologie studiert hatte, als ihren ersten Pastor berufen. Gouverneur Van Plettenberg wollte jedoch nur einen Holländer erlauben. (Blettermanns Vater war später Landdrost  in Stellenbosch; das schöne Blettermannhaus ist dort erhalten. Der Sohn kehrte nicht zurück und wurde lutherischer Pastor in Sondershausen in Thüringen.) So kam dann der erste lutherische Pastor, Andreas Lutgerus Kolver, am 22. November 1780 aus Rotterdam an und hielt seinen ersten Gottesdienst am 10. Dezember in der von Martin Melck geschenkten Scheune in der Strandstraße, die nun als Kirche eingerichtet worden war. Gottesdienst und Predigt durften nur in holländischer Sprache stattfinden.

Der Gemeinde wurde jedoch erlaubt aus deutschen Gesangbüchern zu singen. In der schon erwähnten Sammlung Dessin in der Staatsbibliothek in Kapstadt befinden sich folgende Gesangbücher, die einen Blick geben in die weitverzweigte Herkunft der Deutschen: Hannover (1712), Hanau (1713), Darmstadt (1718), Kursachsen (Dresden 1720), Braunschweig-Lüneburg (1722), Schleswig (1725), Riga und Leipzig (1726), Greifswald (1727), Rostock (1728), und das bekannte Freylinghausensche Gesangbuch von Halle, hier in der Ausgabe von 1718. Als Einheitsgesangbuch wurde schließlich 1783 das Neue Gesangbuch der evangelischlutherischen [sic], Domgemeine [sic] zu Bremen angenommen und in 600 Exemplaren bestellt.

Die Gemeinde hatte auch schon sehr hübsche am Kap gearbeitete silberne Abendmahlsgeräte. Es haben nämlich eine Reihe von  deutschen Silberschmieden am Kap ausnehmend schöne Stücke geschaffen. Außer der Gemeinde in der Strandstraße haben auch die Groote Kerk in Kapstadt, die reformierte Moederkerk in Stellenbosch und noch andere Gemeinden in der Westkap solche kostbaren Abendmahlsgeräte und Taufschalen, nebst Bibeln mit Silber- oder Goldbeschlag. Von deutschen Silberschmieden am Kap hergestellte Tee- und Kaffeekannen, Pokale, Kandelaber, Tabletts und vielerlei andere Stücke erzielen heute auf dem Antiquitätenmarkt hohe Preise. Ich erwähne nur Matthias Lotter, der etwa 1700 in Augsburg geboren war und Daniel Heinrich Schmidt, der 1741 in Strelitz geboren war.

Erster Organist an der Strandstraße war der in Prusnitz bei Leipzig geborene August Heinrich Heyne, ein “trompetter bij den Edelen Heer", also dem Gouverneur. Vorsänger und erster Küster war Johannes Esler aus Sachsen-Eisenach. Im ersten Gottesdienst von Pastor Kolver sang ein Knabenchor unter Eslers Leitung das deutsche Te Deum, "Herr Gott, dich loben wir". Der Politieke Raad gab 1784 sein Einvernehmen dazu, dass die Gemeinde eine eigene Schule für Lesen und Schreiben gründete. Schließlich wurde 1791 der erste Lehrer, Lourens Erzey aus Amsterdam, angestellt.

Der oben erwahnte Martin Melck hat in der Geschichte der Lutheraner am Kap eine bedeutende Rolle gespielt. Er kam 1746 aus Memel am Kap an, besaß ab 1750 mehrere Farmen, unter anderen die bekannte Farm Elsenburg bei Stellenbosch, und wurde später Heemraad in Stellenbosch. In Elsenburg prangt der Preußische Adler immer noch über dem Kamin in dem  stattlichen kapholländischen Haus. Obwohl seine Frau reformiert war und die Kinder auch in der reformierten Kirche in Stellenbosch getauft wurden, blieb er Zeit seines Lebens Lutheraner. Wie schon erwähnt, hatte Melck 1774 einen von ihm erbauten Lagerraum oder Speicher in der Strandstraße in Kapstadt den Lutheranern für gelegentliche Gottedienste übereignet. Zudem schenkte Melck ihnen ein Grundstück neben dem Lagerraum für den Bau eines Pfarrhauses. Er starb am 23. Februar 1781 in Stellenbosch. So hat er die kurz zuvor gestattete Religionsfreiheit kaum mehr genießen können.

Der Bildhauer und -schnitzer Anton Anreith sei in diesem Zusammenhang erwähnt, von dem mehrere Kunstwerke in der Kirche zu sehen sind. Anreith war 1754 in Riegel nahe Freiburg im Breisgau geboren und 1777 am Kap angekommen. Neben anderen Bau- und Kunstwerken (z. B. die Kanzeln in der reformierten Groote Kerk in Kapstadt und in der rheinischen Missionskirche in Stellenbosch) hat er für die Kirche in der Strandstraße die Brüstung der Orgelempore (mit dem harfespielenden König David), die Türen in die Sakristei, eine Gedenkplatte für Martin Melck, den Schwan auf dem Lesepult und über dem Schalldeckel der Kanzel und, vor allem, die wuchtige Kanzel selber nebst anderen kleineren Schnitzereien geschaffen. (Der Schwan erscheint übrigens in holländischen und einigen norddeutschen Kirchen als Symbol für Martin Luther.) Auch die Fassade der Scheune hat er umgearbeitet in eine zierliche Front, von der leider nur Zeichnungen von Lady Anne Barnard und John Barrow erhalten sind. Es wurde nämlich von 1818 bis 1820 ein Turm an der Straßenseite der Kirche hinzugefügt. Damit wirkt die Kirche leider einiges klobiger als die zierliche Fassade, die Anton Anreith geschaffen hatte. Wenn Sie mal nach Kapstadt kommen, sollten Sie sich einen Rundgang in der Kirche in der Strandstraße nicht vorenthalten. Auch das Gesamtbild der Kirche mit den beiden schönen Häusern rechts und links davon, ist der Mühe wert.

Pastor Kolver starb schon 1797 und die Gemeinde war danach zwei Jahre lang vakant. Vom Februar 1799 bis September 1800 versah der Militärkaplan des Württembergischen Kapregiments, Johannes Haas, die Vertretung.

Über dieses Regiment nur ein paar Sätze. Herzog Karl Eugen von Württemberg verkaufte 1786 ein Regiment von 2000 Mann für 300 Tausend Gulden an die VOC. Johannes Prinz hat in seinem Buch: Das Württembergische Kapregiment 1786-1808 ausführlich über das Schicksal dieser Menschen berichtet. Das Regiment verließ die Heimat 1787 und erreichte, über Holland, das Kap nach sieben Monaten. Unterwegs waren bereits 143 Personen gestorben. 1791 wurden die meisten nach Niederländisch-Indien weitergeschickt. Eine kleine Gruppe von 13 Unteroffizieren und Mannschaften konnte am Kap bleiben. Unter ihnen befanden sich der Arzt Friedrich Ludwig Liesching, der (später mit seinem Sohn) viel zur Entwicklung des medizinischen Berufes in Südafrika beigetragen hat und Besitzer einer bekannten Apotheke wurde; ferner Johannes Zorn, der Landdrost in Kapstadt wurde und das wunderschöne Haus Leeuwenhof gebaut hat (heute amtlicher Wohnsitz des Premierministers der Westkap). Friedrich Spönlein, Feldprediger des Regiments, der 1788-1791 am Kap verweilte, bat schon 1788 um Erlaubnis eine Schule zu eröffnen. Dies wurde nicht genehmigt und er reiste 1791 mit dem Regiment nach Niederländisch-lndien, von wo er 1792 nach Deutschland zurückkehrte. (Die Abreise des Regiments aus Württemberg war übrigens der Anlass für das Gedicht Kapland von Christian Friedrich Daniel Schubart.)

Nachdem England die Kapkolonie auf Grund des Friedensvertrages von Amiens (1802) an Holland - um die Zeit die sogenannte Batavische Republik - zurückgeben musste, nahm der designierte Gouverneur und Militärbefehlhaber Jan Willem Janssens auf vier Kriegsschiffen die für das Kap bestimmte Garnison mit, zu der als fünftes Bataillon das Bataillon Waldeck gehörte, das Fürst Friedrich II. von Waldeck gegen recht günstige Bezahlung zur Verfügung gestellt (oder "verkauft") hatte. Nach der Schlacht bei Blouberg am 8. Januar 1806 gegen die Engländer und der darauf folgenden Kapitulation von Janssens, wurde die ganze Garnison auf Kosten Englands nach Holland zurück transportiert. Für die Waldecker also ein ruhmloses Ende.

Durch die Verbindung London-Hannover (der Kurfürst von Hannover war ja auch englischer König) kamen nach der britischen Ubernahme der Kolonie 1795 und dann endgültig 1806, bald hannoversche Pastoren nach Kapstadt, als Erster der Pastor Christian Heinrich Friedrich Hesse, der bis 1815 in Kapstadt blieb. Anfänglich predigte er Deutsch, lernte aber bald genug Holländisch. Nach seiner Rückkehr wurde er Superintendent in Hoya an der Weser, wo er 1832 starb. (Sein Grab konnte ich dort nicht mehr finden.) Hesse war ein beliebter Prediger, aber auch ein angesehener Entomologe und Botaniker. Auf dem Schulgebiet spielte er als Sekretär der Kapstädter Schulkommission, sowie auch der Bibelkommission, eine Rolle.

Sein Einsatz auf allgemein-kulturellem Gebiet war die Folge einer sich mehr und mehr etablierenden religiösen Toleranz, die vor allem unter der Batavischen Republik (1803-1806) durch die Kerkorde des General-Kommissras Jacob Abraham de Mist von 1804 herbeigeführt worden war, und besagte, dass alle Kirchen auf gleichem Fuß mit der reformierten zu behandeln seien. Diese religiöse Toleranz wurde ab 1806 unter der britischen Herrschaft fortgesetzt.

Holländischer Gottesdienst mit deutschem Gemeindegesang blieb in der Strandstraße die Regel, obwohl im 19. Jahrhundert vor allem deutsche Lutheraner nach Kapstadt kamen. Schließlich wurde 1861 unter der Leitung des hannoverschen Pastors Johann Ludolph Parisius die deutsche evangelisch-lutherische St Martini-Gemeinde gegründet, deren schöne Kirche oben in der Langstraat steht. Aber davon hier nicht mehr.

Von den Deutschen, die auf kulturellem Gebiet einen bedeutenden Beitrag geliefert haben, erwähne ich kurz noch einige.

Von deutschen Reisenden, die wertvolles Schrifttum über das Kap und das weitere Südafrika hinterlassen haben, seien noch zwei genannt:

Damit genug. Hoffentlich raucht Ihnen nicht der Kopf nach dem vielen Detail! Aber ich hoffe, dass Sie doch etwas Interessantes gehört haben und vielleicht mitnehmen werden. Ich danke Ihnen!


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